„Die Denkschrift Evangelische Kirche und freiheitliche Demokratie von 1985 konnte den politischen Konflikt noch problematisieren und thematisierte die Demokratie vorrangig als Verfahren, um Konsens in politischen Fragen zu erreichen. Heute stellt sich die Lage anders dar: Die Demokratie wird mit bleibenden Konflikten rechnen müssen. Sie steht vor der Herausforderung, erheblich vielfältigeren Lebensformen gerecht zu werden und gleichzeitig den gesellschaftlichen Zusammenhalt im Blick zu behalten.
[…] Dazu gehört insbesondere die Einsicht, dass der Konflikt nicht per se bereits eine Krise, sondern eher den Normalfall der Demokratie darstellt. Daher ist es auch kein realistisches Ziel, jeglichen Konflikt in Konsens zu überführen. Zwar ist die Demokratie darauf angelegt, verschiedene Interessen und Sichtweisen in ein förderliches Verhältnis zueinander zu bringen. Im Spannungsfeld von Konflikt, Kompromissen und Konsens kommt es aber vor allem auf eines an: Strukturen und Mentalitäten zu schaffen, die dabei helfen, mit Konflikten und Dissonanzen so umzugehen, dass deren destruktives Potenzial eingehegt wird. So können diese sowohl für den Einzelnen als auch für die Gesellschaft fruchtbar sein.
[…] Solche demokratischen Konflikte können sich allerdings so zuspitzen, dass sie in eine Polarisierung hineinführen, die sich dem Gespräch entzieht, den Korridor des demokratischen Streits verlässt, Personen oder auch ganze Personengruppen diffamiert und in Wut oder gar Gewalt umschlägt. Die Demokratie weiterzuentwickeln und zu stärken bedeutet daher, eine demokratische Streitkultur zu fördern. Dies geschieht, indem zur Auseinandersetzung zwischen den unterschiedlichen Positionen aufgefordert und gleichzeitig darauf geachtet wird, dass es nicht zu einer Verrohung der Debatte kommt.“